DAS Metaverse ALS BRANDSPACE

ECHTER MEHRWERT ODER NUR MEGAHYPE?

Beim Branchenstammtisch und im Lieblings-Technik-Podcast, auf LinkedIn und bei der Karriere-Fortbildung: Neuigkeiten aus dem „Metaverse“ umschwirren uns von allen Seiten – und doch scheint die Dringlichkeit, mit der eigenen Brand einen Schritt in die digitale Neuaufstellung zu wagen, eher gering. Denn im deutschen Einzelhandel stecken diese Zukunftstechnologien noch in den Kinderschuhen. Daran ist zum einen das gesunde Risikobewusstsein schuld, mit dem Unternehmer:innen auf Themen wie Datenschutz und Reichweite blicken. Zum anderen mangelt es häufig an spannenden Pionier-Beispielen in der eigenen Branche. Denn oftmals reicht unsere Vorstellungskraft noch nicht aus, um die eigene Brand im Licht neuer Entwicklungen zu sehen. Wir zeigen an spannenden Highlights der letzten Monate, wie sich Firmen im Metaverse präsentieren – und diskutieren Chancen und Herausforderungen für die Brand Experience.


EINFACH ERKLÄRT - DAS METAVERSE

Das Metaverse beschreibt ein virtuelles 3D-Pendant zu unserer realen, sinnlich erfahrbaren Welt. Nutzer:innen – beziehungsweise ihre Avatare – können sich darin frei bewegen und mit anderen Menschen kommunizieren, digitale Abenteuer erleben oder auf virtuellen Flaniermeilen shoppen gehen. Dabei strebt das aktuelle Design diverser Welten im Metaverse häufig an, die dichteste Annäherung an die reale menschliche Erfahrung zu sein, die durch Technologie möglich ist.
Einige Funktionen dieser Welten konzentrieren sich auf Alltagsroutinen: Sie dienen beispielsweise der virtuellen Zusammenkunft und fördern eine Art nachbarschaftlichen Smalltalk oder das Erledigen alltäglicher Aufgaben. Andere setzen eher auf den Entertainment-Faktor und lassen ihre Besucher:innen gegen Monster kämpfen oder auf Rockstars treffen. Zu den Neueinsteigern ins Metaverse gehören Firmen aus den unterschiedlichsten Branchen, besonders interessiert sind die Reise- und Tourismusbranche, der Medizinsektor, diverse Finanzdienstleistungs-Unternehmen oder Bildungsinstitutionen – und natürlich die Retail-Welt in ihrer ganzen Vielfalt.
Sich als Brand jetzt in diese Thematiken einzulesen, ist ein Must-have. Denn einige Zukunftsforscher:innen sagen voraus, dass das Angebot an Metaverse-Plattformen in den nächsten Jahren noch explodieren wird und wir viele weitere Welten neben Decentraland und Roblox kennenlernen werden, die womöglich unsere herkömmlichen Datingroutinen, unser Bildungswesen und vor allem unsere Marktplätze ablösen könnten. Diesen Prognosen nach wird das Metaverse nicht nur den Zugang zu facettenreichen Online-Shopping-Experience prägen, sondern auch Einfluss auf unsere physische Retail-Welt nehmen.

Credits: Decentraland

VISIONÄRE ANREIZE COMMUNITIES AN DIE EIGENE BRAND ZU BINDEN

Kann im Metaverse wirklich Geld verdient werden – vor allem, wenn die eigene Brand physische Produkte vertreibt? Dieser Frage nähern sich gerade viele Firmen an, denn zunächst einmal sind Waren und Dienstleistungen im Metaverse „nur“ virtuell. Doch die Entwicklungen der letzten Monate deuten an, dass positive Einkaufserlebnisse im Metaverse elegant zum Kauf von Waren und „Brick & Mortar“-Erfahrungen in der physischen Welt motivieren können.
James Quincey, Vorsitzender und CEO von Coca-Cola, glaubt jedenfalls fest an die kommerziellen Chancen des Metaverse: Coca-Cola tobt sich bereits seit Mitte 2021 kreativ auf der eigenen „Global Brand Platform“ namens „Real Magic“ aus. Um die Verbindung zu ihren Fans im Metaverse zu stärken, schuf die Marke beispielsweise eine App, mit welcher Kund:innen eine Vielzahl an Belohnungen freischalten können. Darunter zum Beispiel der Zugang zu Prämien und Rabatten, Partys, Gaming-Events oder frühzeitiger Zugang zu limitierten Produkten.
CEO Quincey hofft, damit die nächste Generation an Kreativen zu erreichen: „Wir sehen Möglichkeiten, unser Marketing durch hochmoderne KI zu verbessern, und suchen nach Chancen, unsere Geschäftsabläufe und -fähigkeiten zu verbessern.”1 Ende März 2023 startete Coca-Cola deshalb einen Aufruf an Metaverse-Künstler:innen: Digitale Kreative auf der ganzen Welt wurden dazu eingeladen, eine brandneue KI-Plattform der Brand zu nutzen, um neue Grafiken basierend auf ikonischem Material aus den Coca-Cola-Archiven zu erstellen. „Create Real Magic“ wurde von OpenAI sowie Bain & Company exklusiv für Coca-Cola entwickelt und ist die erste Plattform ihrer Art. Denn sie kombiniert die Fähigkeiten von GPT-4 (dem Premium-Nachfolger der aktuell gehypten ChatGPT, die menschenähnliche Texte aus Suchmaschinenanfragen erzeugt) und DALL-E (einem Programm, das Bilder basierend auf Text erzeugt).

Credits: Coca-Cola Company
Um die Spannung innerhalb kunst- und technikaffiner Zielgruppen zu erhöhen und diese Communities stärker an die Brand zu binden, startete der Getränkehersteller einen Wettbewerb, welcher mit der Möglichkeit lockte, die eigene digitale Kunst auf den Werbetafeln von Coca-Cola auf dem New Yorker Time Square und dem Londoner Piccadilly Circus zu sehen.
Andere Strategien setzen ganz auf den Ausbau eines eigenen Stores im Metaverse. Kundenbindung durch Belohnung kann zum Beispiel durch den Einsatz von digitalen Teilnahme-Zertifikaten erreicht werden. Dafür bietet eine Marke Veranstaltungen im Metaverse an und verteilt digitale Abzeichen, die beweisen, dass man dort war und zudem eine schöne Erinnerung an die Brand-Experience verkörpern. So ein Hotspot hat die Luxusmarke Gucci mit “Gucci Garden” geschaffen. Besucher:innen können durch digitale Gärten spazieren, an Kunstausstellungen teilnehmen und virtuelle Kleidung anprobieren. Gucci nutzt die virtuellen Realitäten hier, um eine immersive und fesselnde Erfahrung zu kreieren, die Kunden:innen weltweit begeistert und enger an die Marke bindet.
Credits: Gucci

MANDANT:INNEN IM METAVERSE GEWINNEN

Beim Metaverse denken viele an futuristische Avatare, abgespacete Brands und Alice-im-Wunderland-Designs. Doch an vielen Stellen ist das Metaverse schon jetzt mehr Mittelstand als Matrix. Als erste führende deutsche Wirtschaftskanzlei hat „Gleiss Lutz“ ein Büro im Metaverse eröffnet. Zur Begründung für diesen Schritt beschreibt die Kanzlei auf seiner Webseite die zahlreichen neuen Geschäftsfelder, die sich für ihre Klient:innen im Metaverse eröffnen und diese in ein neues, virtuelles Umfeld voll komplexer rechtlicher Fragen führen: „Wir beraten unsere Mandanten nicht nur umfassend zu den vielfältigen Rechtsfragen, die in diesem digitalen Raum entstehen, sondern sind dort als Ansprechpartner präsent.“2
Credits: Gleiss Lutz
Auf clevere Art und Weise positioniert die Kanzlei damit ihre digitalen Kompetenzen und holt ihre Kundschaft in deren neuen Lebensräumen ab. Hinzu kommt, dass solche digitalen Support-Räume dem Erlebnis einer echten Kaufberatung oft näherkommen, als ein herkömmlicher Telefonanruf. Kund:innen können zuerst durch hochgradig personalisiertes Marketing angeworben werden und dann volle individuelle Betreuung erhalten.
Für Brands mit Produkten ist aber vor allem die Grenzenlosigkeit interessant, mit der sie Einladungen in ihren Store aussprechen können. Denn der Standort der Kund:innen spielt ebenso wenig eine Rolle, wie das Gender oder die körperliche Beeinträchtigung. Im Gegensatz zu einigen physischen Stores in der Innenstadt herrscht in einem Metaverse-Store zum Beispiel absolute Barrierefreiheit für einen Elternteil mit Kinderwagen. Zudem können analoge Ärgernisse, wie zum Beispiel das Anstehen an der Kasse beseitigt werden. Und das sowohl bei hoher Entertainmentqualität, als auch mit einem gewissen Überraschungseffekt. Denn gerade Marken, die nicht zu den cool Kids der Gen-Z-Zielgruppe gehören, können mit einer Präsenz im Metaverse ihren Pioniergeist verdeutlichen und ihre Kund:innen (genau wie Medien) mit dem News-Charakter ihres Vorstoßes anstacheln.

GRENZENLOSE KREATIVITÄT IM METAVERSE

Modenschauen, Partys, Shopping, Podiumsgespräche und „erstaunliche Erlebnisse“3. So bewarb Decentraland ihre zweite Fashionweek in der Geschichte der Metaverse-Plattform. Während beim ersten Event noch von einem Hype die Rede war, hat sich die Fashionweek mit Runde Nummer zwei im März 2023 schon so halb etabliert. Auch die Teilnahme des internationalen Sportartikelherstellers Adidas spielte dabei eine Rolle, zudem waren Tommy Hilfiger sowie Dolce & Gabbana an dem Event beteiligt.
Credits: Dolce & Gabbana

Adidas debütiert bei der, mit „MVFW23“, abgekürzten Modewoche mit seiner digitalen Kollektion „Virtual Gear“. Besitzer:innen des entsprechenden NFTs erhalten eine einzigartige 3D-Version ihres erworbenen Artikels, den ihr Avatar in der virtuellen Welt „Decentraland“ tragen kann.
Vor allem die Show der Marke hob die Interaktion mit den Verbraucher:innen dabei auf ein neues Level. Dass Retail-Player innerhalb des Metaverse neue oder fantastische Orte und Erfahrungen schaffen können, die sogar die Gesetze der Physik überschreiten und nicht in unseren Alltag übertragen werden können, ist ein Hauptreiz der Parallelwelten. Adidas nutzte diese Prämisse und inszenierte eine Show mit geschlechtsneutralen Avataren in avantgardistischen Kleidungsstücken, die über Lava-Installationen liefen und übermenschliche Pirouetten-Sprünge absolvierten. Auf Twitter kommentiere MVFW23-Besucher:in @ShinyDCL: „Ich hoffe, dass andere Marken Notizen machen, denn die Adidas-Modenschau in Decentraland hat mich komplett umgehauen! 🔥”4
Credits: Adidas
Kommentare wie dieser signalisieren, welchen Mehrwert ein überzeugendes Verbraucher:innenerlebnis im Metaverse bieten kann und schenken einen Ausblick darauf, wie sich Verkäufe durch Entertainment ankurbeln lassen. So kommentiert Ayan Yuruk, Retail-Experte und Gründer von SHOWZ, diese Entwicklung: „Markenpräsenz im Metaverse könnte eine neue Ära der Kreativität einläuten. Nachdem das Marketing der letzten Dekade immer mehr auf Technik und Algorithmen gesetzt hat, könnten die endlosen Möglichkeiten der verschiedenen Metaverse-Plattformen diesen Kurs wieder durch mehr Kreativität ergänzen. In meinen Augen wird das nicht bedeuten, dass der Point of Sale im Einzelhandel verloren gehen darf. Allerdings könnten mit den übermenschlichen Handlungs- und Designoptionen des Metaverse neue Storytelling-Chancen genutzt werden, welche eine Brand signifikant aufboosten und gleichzeitig die Kundenbeziehung intensivieren.”

CRINGE ODER COOL: HERAUSFORDERUNGEN UND CHANCEN IM METAVERSE

Mit dem wachsenden Interesse am Metaverse wächst auch eine Fragmentierung der Plattformen: Wenn ich meine schicke NFT-Jacke im Decentraland tragen kann, aber nicht auf Roblox – wie reizvoll ist das Investment dann für mich? Denn in der realen Welt kann ich die Jacke sowohl auf einer Yacht in Saint-Tropez, als auch zum Döner-Imbiss in Berlin-Neukölln ausführen. Dieses Problem ist für Pioniere eine akute Herausforderung, auch wenn sich an dieser Front viel tut. Ein Großteil der Produkte, die Tommy Hilfiger für die MVFW23 entwarf, sind zum Beispiel in mehreren Metaversen tragbar. Auf Dauer muss die Entwicklung in diese Richtung verlaufen und Brands ermöglichen, eine plattformübergreifende Agenda zu verfolgen – denn sonst wäre der Aufwand für die Marke nicht nachhaltig. Eine mögliche Entwicklungsoption wäre die Tendenz, dass sich Industrien fokussiert in einzelnen Welten austoben. So werden sich Fashion-Brands womöglich im Decentraland sammeln, während sich die Gaming-Branche oder diverse Dienstleistungen vorrangig in einem anderen Metaverse tummeln.
Für die Retail-Branche werden sich aber vor allem Herausforderungen im Bereich Service ergeben. Wer für seinen Store im Metaverse auf menschliche Mitarbeitenden setzt, muss ihnen ein optimales Trainingsprogramm zukommen lassen, welches ihre Einzelhandelsfähigkeiten mit digitalem Know-how verbindet. Und Marken, die sich für virtuelle Assistent:innen entscheiden, müssen diese erst entwickeln und vermutlich ständig anpassen und verbessern.
Außerdem stellt sich die Frage, wie man alle Teile seiner Zielgruppe vom Angebot im Metaverse profitieren lassen kann. Gen Alpha wird mit dem Metaverse aufwachsen, Gen Z lustwandelt schon begeistert darin herum. Doch schon bei den Millennials zeigt sich, wie unterschiedlich die Tech-Skills der Kund:innen sind. Deshalb braucht eine Brand mit breiter Zielgruppe genug mehrgleisige Marketingwege und ihre Kundschaft auf verschiedenen Ebenen zu erreichen – die einen im Metaverse, die anderen in der Innenstadt.
Auf der anderen Seite zeigen die oben genannten Beispiele, mit welchen Chancen die neuen Technologien eine Brand-Vision unterstützen könnten – besonders im Hinblick auf Marketingplatzierungen und Vertriebswege. Überdies macht es die umfassende Datenerfassung im Metaverse möglich, eigene Marktforschungen durchzuführen und in hochgradig individualisiertes Marketing auf anderen Kanälen zu verwandeln. Denn wenn man den Zahlen einer von Bloomberg im Dezember 2021 zusammengefassten Hochrechnung Glauben schenken darf, sollen die Umsätze im Metaverse von etwa 500 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf fast 800 Milliarden US-Dollar im Jahr 2024 anwachsen.
1 Coca-Cola
2 Gleiss Lutz
3 Twitter Decentraland
4 Twitter Adidas

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